Moderne, körperorientierte Psychoanalyse
nach Carl Gustav Jung

Einen Menschen mit seinem Schatten zu konfrontieren heißt, ihm sein Licht zu zeigen (C.G.Jung)

Frühe Beziehungserfahrungen prägen unsere Sicht der Welt: unhinterfragt sehen wir uns so, wie  uns unsere Eltern und frühen Bezugspersonen gesehen haben, als Projektionsträger von deren positiven Idealvorstellungen oder Befürchtungen. Wir sollen das erfüllen, was sie nicht geschafft hatten, oder die Fehler vermeiden, die sie machten, oder auch einfach nur zu einem geachteten Mitglied der Gesellschaft werden, was immer das heißen mag. Aus Angst vor Strafe und - noch öfter - um von ihnen geliebt zu werden, ja, weil wir sie liebten und nicht enttäuschen wollten, haben wir ihre Erwartungen zu unseren eigenen gemacht und leben diesen Mythos.

Psychoanalyse ist der Prozeß der Selbstaneignung, der Schaffung unseres ganz persönlichen Mythos durch Bewußtmachung und Überschreitung unserer Konditionierungen, unserer Erlebensmuster und Beziehungskompromisse in einer wachstumsfördernden und Raum gewährenden Zweierbeziehung mit dem Therapeuten.

Historisches

Bereits die Romantik (z. B. Karl Gustav Clarus) beschäftigte sich intensiv mit den unbewußten Seelenkräften. Daß ins Unbewußte verdrängte seelische und körperliche Verletzungen (z. B. sexueller Mißbrauch, Granatfeuer) Krankheiten (z. B. Hysterie, traumatische Kriegsneurose) auslösen können, entdeckten Pierre Janet, Josef Breuer und Sigmund Freud. Breuer und vor allem Freud entwickelten aus der ”Redekur” ein Behandlungsverfahren, wie Psychoanalyse, wie das ins Unbewußte Abgewehrte im Gespräch, in der Traumanalyse und in der mitmenschlichen Begegnung wieder gegenwärtig sein läßt, das damals mangels Unterstützung unerledigt Gebliebene darf zum Abschluß gebracht werden, das Heilwerden der bewußten Lebensgeschichte, des persönlichen Mythos oder Lebensromans. Freuds Schüler, Carl Gustav Jung, verstand das Unbewußte als persönlichen und kollektiven Schattenbereich der menschlichen Seele, weit über den Ich-Komplex hinausweisend, mit dem wir normalerweise identifiziert sind. In Träumen und Mythen, in Familienstrukturen und Schicksalsschlägen begegnen uns Wirkmächte, die uns bis in die spirituelle Dimension unseres Seins treiben.

Praktisches

In der Laienpresse, in Film und Fernsehen begegnen uns Extremformen von Psychoanalyse, Phantasien über Psychoanalyse, die mit der wissenschaftlich erforschten und fundierten Behandlungsmethode psychosomatischer und psychischer Krankheiten kaum mehr etwas gemein haben. Psychoanalyse ist harte und ausdauernde Bewußtseinsarbeit. Psychoanalyse sieht Krankheit als Auswirkung eines im neuronalen Erinnerungsnetzwerk dysfunktional gespeicherten Komplexes. Ein Erlebnis war so schwerwiegend, die emotionale und körperliche Unterstützung zur Verarbeitung dieses und ähnlicher Erlebnisse so mangelhaft, daß der Komplex im Rohzustand, unverarbeitet, ohne Zusammenhang mit den anderen Lernerfahrungen und daher unzugänglich abgespeichert worden ist. Über die verschiedensten Assoziationskanäle (Körperempfindungen, Emotionen, Beziehungsmuster, Träume, Überzeugungen, Einstellungen, Glaubenssätze) wird ein solcher Komplex aktiviert und der nachträglichen Verarbeitung zugänglich. Das Besprechen von Träumen und Einfällen, das Analysieren von Beziehungsmustern und Übertragungen früherer Beziehungserfahrungen, die Beziehung zum Analytiker, das Malen von Bildern, das entspannte Sitzen oder das Liegen auf der Couch sind da nur einige Hilfsmittel (siehe auch körperorientierte Psychotherapie). Eine Entwicklung der Persönlichkeit, der Aufbau emotionaler Stärke zur Begegnung mit damals unerträglich schweren Verletzungen, Vertrauen in die Beziehung zum Analytiker, das alles braucht seine Zeit, wenn heute auch alles immer ganz schnell und sofort zu geschehen hat, so braucht Seelisches seine Zeit zum Wachsen und Sich-Entfalten. Die Zeit und den Raum dafür stellt die Psychoanalyse zur Verfügung. Psychoanalytische Behandlungen laufen über hundert, zweihundert, in Ausnahmefällen dreihundert Stunden, mit zwei bis drei Sitzungen pro Woche, über eins bis drei Jahre Gesamtbehandlungszeit. Auf Antrag Kassenleistung.

Vor allem wenn ein Komplex im neuronalen Netzwerk ohne sprachliche Assoziationen abgespeichert worden ist, ist eine Aktivierung des Informationsverarbeitungsprozesses über non-verbale Methoden notwendig. Dabei bietet sich natürlich die (körperliche) Orientierungsreaktion an. Es sind aber viele andere körperbezogene Stimulierungsmethoden in der körperorientierten Psychotherapie üblich: rhythmische Bewegungen, Auslösen von Zittern, Atembewegungen, massageähnliche Stimulationen (cranio-sacrale Therapie), Haltungskorrekturen, Ausdrucksbewegungen, Koordinations- und Spürübungen (Feldenkrais). Abspeicherung ohne sprachliche Assoziationen erfolgt häufig bei Erlebnissen aus der Zeit vor dem Spracherwerb (Geburt, Säuglingszeit), bei Erlebnissen, die nicht benannt und eingeordnet wurden, die tabuisiert waren, bei unaussprechlich schrecklichen Erlebnissen, wo unsere Sprache nicht mehr hinreicht.

 

 

Dr. med. Karl-Klaus Madert - Whistlerweg 30 - D-81479 München